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ROMANS: français

NOVELS: English

ROMAN: Erneuerung

Textumfang:  430 250 Zeichen

~ 287 DIN A4-Normseiten à 1 500 Zeichen

 

Autorin und Urheberrecht: Simone Heil

Erneuerung

19.12.2014 - 27.11.2015

 

    Viola hob den Kopf von ihrer Näharbeit und schaute aus dem Fenster. Weiter unten im Tal windet sich der Fluss Orb. Waffenlärm und Kampfgeschrei lassen sie erschaudern. So dicht schon. Sie legt das prunkvolle Kleid sorgfältig über die Stuhllehne. Sie konnte sich nicht mehr auf's Nähen konzentrieren. Seit Stunden, seit Tagen, seit Jahren näht sie in diesem Zimmer. Sollte sie die Felswand nach unten klettern und unten im Tal Zuflucht suchen? So wie sie vor 4 Jahren ihren Sohn da hinunter geschickt hatte? Sie beschließt, in einem wenig genutztem Raum in einem abgelgenen Nebengebäude der ehemaligen Kathedrale St. Nazaire die Einnahme Béziers abzuwarten. Auch hier Nähutensilien. Zu ungewiss die Lage draußen. Hier oben auf der Anhöhe kennt sie sich aus. Sie ist Schneiderin und Kammerzofe  der Gemeindeherrin Marina, Lebensgefährtin von Patrick, dem Patriarchen der Siedlungsgemeinde von Béziers. Wo blieb nur Lydia? Lautes Poltern lässt sie zusammenzucken, erschrocken dreht sie sich zur Tür herum. Wo war sie nur mit ihren Gedanken gewesen? Die Tür wird gerade eingetreten. Zwei zerlumpte Männer, blutend, von Kämpfen gezeichnet, bauen sich vor ihr auf.

- Na, wen haben wir denn hier? Ein feines Burgfräuleinchen mit Loch in Hosen.

Der Mann schlägt gleich zu. Viola taumelt, schmeckt ihr Blut auf den Lippen.

- Lass das Theo, könnte die Näherin sein!

- Ach was, die ist zu alt. Seit Monaten hat mich keine Frau mehr rangelassen. Die ist allein, keine Zeugen, nur wir beide. Bisschen Durchschütteln kann der nicht schaden.

Viola blickte starr ins Nichts. Bei jeder Eroberung das Gleiche: Vergewaltigung und Plünderung.

- Warum gehst Du nicht zu 'ner Prostituierten?

- Kann ich mir nicht leichten. Die machen die Preise, wie sie wollen.

- Vergewaltigungen sind untersagt. Du kennst die Anweisung von Thomas. Jede Frau wird gefragt. Und die hier ist's. Lauter Nähkram liegt hier rum. Bist Du Viola, die Näherin-Hure? Dein Typ wird vom Boss verlangt.

- Hast Glück gehabt, bist Chefsache. Und wenn der mit Dir fertig ist, sind wir dran!

Wut steigt in Viola auf, verdrängt für einen Moment die Angst.

- Ich bin Viola, Nährin bin ich wohl. Dass ich eine Hure bin, ist mir jedoch neu.

Oh nein, was sollte das denn. Was war nur in sie gefahren? Theo packt hart ihr Handgelenk und zieht sie nach draußen. In der Burg wimmelte es jetzt von Männern. Hunderte mussten es sein.

- Ist das die Näherin-Hure? Sperrt sie irgendwo ein. Wir haben noch nichts von Thomas gehört.

    Seit Stunden saß sie nun schon in diesem Raum. Musste im Hauptgebäude liegen, zu dem sie selten Zugang hatte. Nichts, nichts war hier drin, außer, dem Stuhl auf dem sie saß. Draußen stand ein Wachposten, der sie zur Latrine begleitete. In der Anlage war es still geworden. Eine Stille, die immer wieder von Frauenschreien durchschnitten wurde. Das Leben ist rauher  geworden für die Frauen seit dem Zusammenfall Europas in viele kleine und große Siedlungsgemeinschaften im Jahr 2019. Trotz  innenpolitischer Differenzen haben sich die Siedlungsgemeinschaften teilweise zu Stadtstaaten und Ländern zusammengeschlossen, deren Grenzen durch Vereinbarungen geschützt, respektiert und auch bewacht werden. Im Weltkontinentrat verhandeln die Kontinente das kulturelle und wirtschaftliche Zusammenleben der Weltbevölkerung. Europa und Russland bilden jetzt offiziell einen beständigen Kontinent, Eurussia, der sehr geschlossen und einig nach außen seine Interessen im Weltverband der Kontinente vertritt. Doch diese äußere Einheit täuscht. Im Inneren Eurussias wird innerhalb der einzelnen Länder heftig um Regierungsformen gekämpft. Doch jedes Land kämpft für sich und mischt sich nicht in die Angelegenheiten eines anderen Landes ein, weltweit ist das so. Strom ist knapp und nicht mehr überall verfügbar. Weite Landstriche des ehemaligen Frankreichs sind unbewohnt. Die Siedlungsgemeinschaften leben autark, verbünden sich und machen Eroberungen. Es gibt verschiedene Regierungsformen, von Demokratie bis Autokratie. Béziers war seit vier Jahren autokratisch von Patrick geführt. Was würde jetzt kommen? Eine dunkelblonde Frau trat herein, Anfang vierzig schätzte Viola. Sie hat ein ovales Gesicht, eine geschwungene Nase, veilchenblaue Augen und volle Lippen. Laurine, stellte sie sich vor.

- Ich bin weder Deine Dienerin, noch Deine Angestellte. Ich werde Dich begleiten und Dir bei Bedarf behilflich sein.

Den nüchternen Worte folgte ein strahlendes Lächeln, das schräg gestellte, aber gesunde Zähne freigab. Laurine und die Wache führten Viola zu Marinas Privaträumen. Marina sah sehr mitgenommen, aber unverletzt aus. Von ihrer Überheblichkeit war nichts geblieben.

- Was haben sie mit Dir gemacht?, fragte Viola.

- Nichts, Dein Bad ist fertig.

Ihr Bad, jetzt fiel Viola wieder Lydia ein, ihre zwölf Jahre ältere Freundin. Jede hatte der anderen bei den seltenen Badsitzungen assistiert, den laufenden Wasserhahn ersetzt, Erinnerungen an Europas Einheit wach gehalten.

- Wo ist Lydia?, fragte sie aufgeregt.

- Lydia ist tot, von Euren eigenen Leuten umgebracht. Sie wollte Dein Versteck nicht preisgeben, um Dir Zeit zu geben.

Viola sackte in sich zusammen, von einem Moment auf den anderen um Jahre gealtert. Die Nachricht schien zu viel für sie zu sein, ihre Lippen bebten. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. Laurine wollte nicht, dass Thomas sie so sah. Sie mischte sich ein:

- Du wirst eine neue Vertaute finden. Anders als die alte, aber Euer Bund wird stark sein. Wenn es Dir recht ist, werde ich Dir beim Bad zur Hand gehen.

Die beiden Frauen blickten sich an und beide wussten, dass Laurine diese Frau ist. Viola schien sich zu beruhigen.

    Nach dem Bad betrachtete sie sich aufmerksam im Spiegel. Ihr Gesicht und ihr Körper sind gezeichnet, beide von feiner Sinnlichkeit. Ihr großen camouflage-farbenen Augen liegen tief und setzen sich durch gegen schwere Augenlider. Obwohl sie mädchenhaft schlank ist, gibt ihr Kinn nach und kann die Haut darunter nicht mehr halten. Der obere Teil ihrer Haare ist ergraut in verschiedenen Nuancen, die untere Hälfte von einem herauswachsenden aschblond. Sie ist schön und doch nicht schön, alt und doch nicht alt. Sie wendet den Blick von sich ab. Sie ist wie sie ist. Umständlich zog sie ein bodenlanges, grünes Kleid an. Laurine seufzte und runzelte die Stirn. Offensichtlich wusste diese Frau nicht, mit wem sie sich treffen würde. Laurine spricht sie an:

- Ich möchte Dich gerne frisieren. Ich kann das gut. Du wirst sehen.

Ja, sie sah es im Spiegel. Ihre hochgesteckten Haare wölbten sich leicht aufgebauscht und weich um ihr Gesicht. Sie sah richtig edel aus. Viola hatte zwar kein Interesse, für den Eroberer edel auszusehen, aber die Frisur gab ihr irgendwie Kraft. Laurine lächelte zufrieden.

    Laurine und eine Wache begleiteten Viola. Befangen klopfte sie an die Tür ihres Nähraumes. Der Mann am Fenster drehte sich nicht um. Er trug eine rote Wolljacke und eine paris-blaue Hose, beide sorgfältig und gut gearbeitet. Guten Tag, krächzte Viola rauh. Wo war ihre Stimme geblieben? Ihr Mund war so trocken. Sie blieb stehen. Das war ihr Raum. Hier hatte sie gewartet, auf Frauen und Männer. Der Mann am Fenster drehte sich um und kam lächelnd auf sie zu. Unter der geöffneten Jacke war ein hellblaues Rüschenhemd zu sehen. Und tatsächlich, er hatte rote Stiefel mit Stahlkappen an. Sie konnte sein Gesicht im Gegenlicht kaum erkennen. Sie dachte kurz an Jim Morrison, den Leadsinger der Doors. Sie gingen langsam aufeinander zu. Er hatte diese männereigene Lässigkeit, die Viola vergebens bei sich oder anderen Frauen suchte. Seit Jahren versuchte sie ohne Erfolg deren Ursachen zu ergründen. Ihre Augen trafen sich. Er schien irgend etwas zu erkennen und lächelte erfreut. War es ihre Frisur?

    Doch dann runzelte der Mann die Stirn wie Laurine. Die zweite Frau, die sich mir in dieser sackähnlichem Aufmachung präsentiert. Erst Marina und jetzt Viola, dachte Thomas. Sind das hier Muslima unter Autokraten? Während das Gewand der einen, aus grobem braunen Jutestoff, sich um deren Rundungen spannte und die Nähte fast zu sprengen schien, hing das der anderen grün schillerned schlaff herunter und ließ ihre Körperformen nur ahnen. Dennoch beide Kleider waren gleich, nur aus unterschiedlichen Stoffen und gehörten einer der beiden Frauen, da war sich Thomas sicher. Doch welcher? Augenscheinlich trug eine das Kleid der anderen, denn Herrin und Dienerin trugen hier wohl kaum die gleichen Klamotten. Er folgte Violas Blick auf seine Füße und blickte zu ihren hinunter. Ihr Kleid schliff leicht auf dem Boden und gab keinen Blick auf Knöchel oder Schuhe frei. War das Absicht oder nicht? Er war sich sicher, dass sie ausgelatschte Baskets trug und vermutlich noch eine Hose unter der Kluft. Er schwieg immer noch.

- Guten Tag, sagte Viola noch einmal mit rauher Stimme.

Der Mann zuckte zusammen. Eine für Viola überraschend erotische Spannung übertrug sich wechselseitig. Viola konnte die Funken des Begehrens fast sehen. Sie rieb sich die Oberschenkel.

- Guten Tag Lola. Ich bin erfreut, Dich zu sehen. Ich denke, wir sollten uns duzen. Gefalle ich Dir?

Lola, seit Jahren hatte niemand sie so genannt. Was für eine selbstgefällige Frage. Sie kam in Rage.

- Nur weil ich mit den alten Machthabern schön tat, heißt das noch lange nicht, dass ich mit den neuen anbändele. Da Ihr Euch Demokraten nennt, darf ich wohl meine Meinung äußern und einen fairen Prozess erzwarten.

- Niemandem wird ein Prozess gemacht. Und was das Anbändeln betrifft, reicht's, wenn Du Dich auf mich beschränkst. Anstatt zu antworten, presste sie die Lippen zusammen. Der Mann Thomas bemerkte sogleich seine Ungeschicktheit. Seine leichte Heiterkeit wich leichter Bestürzung. Entschuldige, seit drei Jahren warte ich auf diesen Augenblick. Er fuhr sich mit der Hand über's Gesicht. Was redete er da? Er reichte Viola ein abgegriffenes Foto. Auf dem Bild war sie Ende dreißig, heute ist sie 51 Jahre.

- Woher hast Du das Foto?

- Aus dem Mülleimer. Pascal lebt bei uns.

Pascal, Violas Sohn lebt. Er hat es geschafft. Viola ging auf den Mann zu, nahm seine beiden Hände und küsste sie. Thomas drückte sie heftig an sich. Ihre Geste hatte ihn überrascht. Er lächelte glücklich, sie lächelte glücklich, sie lösten sich von einander. Er führte ihre Hände an seine Lippen.

- Warum hat Pascal das Foto weggeworfen?

- Lola, Du bist eine landbekannte Hure. Das gefällt nur wenigen Söhnen. Deine Näh- und Liebeskünste haben sich herumgesprochen.

Näh- und Liebeskunst, Viola seufzte. Ja, sie war Maßchneiderin. Sie hatte Frauen- und Männerkörper vermesssen. Sie war Dienstleistende. Verfängliche Berührungen, Violas Kopf zu oft zu dicht an delikaten Körperzonen.

- Hey, Thomas Stimme riss sie aus ihren Gedankenfetzen. Verwirrt blickte sie ihn an. Mein Sohn Martin und Pascal trafen sich vor vier Jahren im Wald. Pascal war sehr ausgehungert. Er wollte nicht in unsere Siedlung kommen. Martin verpflegte ihn einige Wochen, bis er schließlich doch zu uns kam. Die beiden Jugendlichen sind unzertrennlich und in Marseille geblieben. Mach mir bitte auch so ein maßgeschneidertes, legendäres Dress. Mit der Hose fangen wir an. Er lächelte spöttisch. Ich will wissen, was da los war, zwischen Dir und diesen Männern. Du wirst es mir zeigen. Ich bin ja wohl nicht schlimmer als die, für die Du jahrelang gearbeitest hast.

- Nein, sag mir Bescheid, wenn ich anfangen soll.

- Jetzt, wir fangen jetzt an. Wo kann ich mich ausziehen? Wohl hinter dieser Trennwand! Ich behalte mein Hemd erst mal an?

Thomas sprach so wie all die anderen Männer. Hatte sich Viola geirrt? Dieser Mann schien ihr so vertraut. Pascal lebt. Sie machte zwei Sprünge, Energieableitung.

- Ähem, was mach ich mit meiner Unterhose. Ausziehen oder anbehalten, er räusperte sich, ich habe gehört... Der Mann schwieg.

- Dann mach doch, was Du gehört hast, sagte Viola gereizt.

    Thomas kam barfuß hinter der Trennwand hervor. Männer mit Oberteil ohne Hosen wirken zunächst verletzlich, doch das täuscht. Thomas schien nur verlegen zu tun. Er hatte schlanke, mit kastanienbraunen Samtflaum bedeckte, wohlgeformte Beine, die schnell auf den flauschigen Teppich sprangen. Viola griff zu Bleifsitft, Papier und Maßband. Verwundert stellte sie fest, dass sie sich auf die Körpervermessung freute .

- Ich messe alle hervor stehenden Körperteile, Busen, Bäuche und Penise. Meine Hosen sind maßgeschneidert und nehmen sich verändernde körperlichen Gegebenheiten vorweg ohne sichtbare Ausbeulungen. Deswegen sind sie so bequem und gefragt, sagte sie zwinkernd. Der Mann ging nicht ein auf ihre witzig gemeinte Bemerkung.

- Na, dann fang mal an.

    Viola nahm Maß, senkrecht und waagerecht. Viola in der Hocke oder auf Knien. Ihr Gesicht streifte beinahe sein Geschlecht.  Sie konnte sich nicht beherrschen und ließ ihre Wangen seine Hoden streifen. Was für weiches Schamhaar, wieder dieses helle rötliche Kastanienbraun und so flauschig zart. Bei allen männlichen Kunden war während dieser Prozedur die Lust entflammt. Jetzt war sie auch mal dran. Thomas griff ihr unters Kinn, wie all die Männer vor ihm, und hob ihr Gesicht. Sie blickten sich an.

- Warum hast Du das Maßnehmen immer detaillierter und aufwendiger als nötig gemacht?

- Ich wollte mich interessant machen. Bin nicht mehr die Jüngste. Warum wolltest Du vermessen werden? Du hast doch eh schon alles gewusst.

- Ich wollt's einfach spüren. Doch jetzt reicht's. Würdest Du mir die Kathedrale zeigen? Ich möchte mich gerne bewegen und diese Lustnähstube verlassen. Er sagte dies so heiter, dass Viola auch ganz ausgelassen wurde. Doch da fiel ihr plötzlich wieder Marina ein. Ihr Gesicht verdüsterte sich. Thomas war irritiert. Diese Frau war kapriziös.

- Was habt Ihr mit Marina gemacht?, Viola blickte ihn streng an.

- Marina? Ist das Deine ehemalige Herrin? Sie war die erste von den sogenannten wichtigen Persönlichkeiten, die zu mir vorgelassen werden wollte. Allein wollte sie mit mir sprechen. Sie erschien in einem groben Jutegewand. Doch kaum waren wir allein, streifte sie es ab, um in vorsiedlungsgeschichtlicher Reizwäsche zu posieren und sich mir anzubieten: Ich zwinge keine Frau zu sexuellen Handlungen. Ich begehre Dich. Ich möchte Dich spüren, erwiderte sie. Ich hatte nichts dagegen, eine Frau zu spüren, zumal Marina sehr schön gewachsen ist. Außerdem, niemand war der Näherin Viola so nahe gewesen wie sie. Verrat, um sein Leben zu retten. Ich habe durchaus Verständnis dafür. Nur weil ich selbst noch nicht dazu kam, heißt das nicht, dass ich keinen Verrat begehen würde, um mein Leben zu retten. Viola, Marina hat Dich mehr als verraten. Sie hat in verabscheuungswürdiger Weise über Dich hergezogen.

Viola wurde schwindelig. Sie musste sich setzen. Thomas sollte aufhören zu reden.

Du wirst mir zuhören. Ich sagte Marina, dass ich Dich suche, weil Du viele Verbrechen begangen hast. Ich erspare Dir ihr verleumderisches Geschwätz. Ich sagte ihr nichts von den vielen Frauen, die bei uns Zuflucht suchten. Von den Frauen, die von einer jungen, mitleidslosen Herrin und einer alten, Kraft spendenden Nährin erzählten. Marina war bei vielen gewalttätigen Orgien anwesend. Selbstverständlich nicht als geschundenes Opfer sondern als Exklusivgespielin des Despoten. Sie hat niemals ein tröstendes Wort für die misshandelten Frauen gefunden. Doch da war noch eine andere Frau. Eine Frau, die nachts heimich in die kalten Räume schlich, um den misshandelten Frauen auf den kargen Pritschen Trost, Kraft und Mut zu spenden, denn Du bist Viola und Lola. Leid und Lust. Du kennst beide.

Du überstehst das. Du bist stark, stärker als Du jetzt denkst. Wir brauchen Dich. Das ist nur ein kleiner Teil der Beziehung zwischen Frau und Mann, sprach die entschlossene Frau. Ich muss nicht Deine eigenen Worte schlecht wiedergeben. Lola, weisst Du, wie vielen Frauen Du die Zuversicht zurückgegeben hast? Eine von diesen Frauen ist Laurine, meine Halbschwester, meine erste Vertraute. Sie war eine fröhliche Frau, zu Scherzen aufgelegt. Als ihr Mann starb, begann sie, sich zurückzuziehen. Sie wurde von drei Männern brutal vergewaltigt und wurde noch schweigsamer und schwer zu ertragen. Sie widmete sich anderen Opfern von Gewalt. Doch sie sagte mir immer wieder:

Ich kann gar nicht helfen. Ich versuche nur vergeblich, mir selbst zu helfen. Ich bin so entmutigt. Ich kriege die Nacht nicht mehr aus meinen Gedanken. Ich rede und rede und spiele Theater. Ich habe den Eindruck, die Frauen merken das. Dann kamen die ersten Frauen von Euch zu uns und wiederholten Deine Worte. Sie wirkten auch bei Laurine. Sie ist überzeugt, dass Du über besondere heilende oder suggestive Kräfte verfügst. Als sie erfuhr, dass der Angriff auf Béziers bevorsteht, hat sie darauf bestanden dabei zu sein, sollte es zur Einnahme der Kathedrale Saint Nazaire kommen. Sie wollte Dich unbedingt kennenlernen, Dich auf das Gespräch mit mir vorbereiten. Ich war dagegen. Zu gefährlich, aber sie ließ sich nicht abhalten.

Marina, nach unseren gemeinsamen Stunden, überließ ich sie drei von meinen Männern. Keine Gruppenvergewaltigung, keine Gewalt, immer ein Mann hübsch nach dem anderen. Viola blieb die Luft weg. Ihre Kehle schnürrte sich zu. Sie war dem Schwindel nahe. Thomas musste sie stützen. Angewidert stieß sie ihn grob weg.

- Das hast Du, dass habt ihr nicht getan. Sag, dass es nicht wahr ist, kreischte sie. Ihre Stimme überschlug sich.

- Marina gehört zu den Menschen, die nur begreifen, was sie am eigenen Leib spüren. Die erst aufhören, wenn sie es selbst erlebt haben. Die Gewalt muss ein Ende haben. Jetzt wird sie sich einsetzen ...

- Oder sich umbringen.

- Oder noch grausamer werden. Die bringt sich nicht um. Marina hat einen ausgeprägten Überlebenstrieb. Falls sie doch Suizidabsichten hegt oder weiterhin andere Menschen quält, kannst Du Dich ja um sie kümmern, wenn Du magst. Dieses Opfer war notwendig. Menschen wie Marina leiden nicht mit. Sie erkennen nur ihr eigenes Leid. Jetzt ist sie wissend. Wir werden sehen, was sie daraus macht. So oder so, es war meiner Meinung nach richtig. Ich bin Pragmatiker. Manchmal ist es nötig das Leben eines Menschen auf's Spiel zu setzen, um das Leben mehrer zu verbessern. Frauen wie Marina brauchen wir Männer nicht. Sie fördern die Gewalt.

- Du wolltest Laurine rächen. Du bist grausam. Wie sollen aus drei Vergewaltigern drei liebende Männer werden?

- Vielleicht haben sie schon die Schaalheit ihres scheinbaren Vergnügens erkannt und bereuen. Wer weiß?

Wir sind doch alle Doppelwesen, dachte Viola und sagte:

- Lass uns nach draußen gehen.

    Gemeinsam verließen sie den Raum. Auf der Anhöhe von St. Nazaire wimmelte es von ihr unbekannten Frauen und Männern. Die Angehörigen der Eroberer waren schon nachgerückt und ließen sich alles zeigen.

- Halt, Viola, lass uns den Ausblick genießen.

Thomas stellte sich hinter sie, schlang beide Arme um ihre Teile und seine Lippen berührten für einen Augenblick ihr Haar. Sie legte ihre Hände auf seine. Sie fühlte sich nicht sicher, aber geborgen in der Unsicherheit. Sie genoss den Moment.

- Der Ausblick ist sehr schön, aber die Anhöhe von Marseille wird Dir auch gefallen.

Marseille, schon vor Béziers war sie in Marseille gewesen.

- Ich will so bald als möglich nach Marseille zu Pascal.

    Im abendlichen Sonnenlicht sah Thomas sehr willensstark aus. Seit Jahren hatte er Menschen geführt, während sie geführt wurde und jede kleinste persönliche Freiheit der Knechtschaft abrungen hatte. Sie beschloss, sich auf ihn zu verlassen, bis er sie oder sie ihn verlassen würde. Heute abend sollten auf allen größeren Plätzen Béziers öffentliche Essen mit Musik und Tanz stattfinden. Auf die Freiheit! Viola wählte für Thomas und seine engsten Mitstreiter den Platz Canterellettes aus. Das großes Gebäude am Platz  würde Aufenthalt und Schlafstätte geben. Es roch nach gebratenem Wildschwein. Fünf Tischreihen trafen senkrecht auf die Tischreihe an deren rechten Ende Thomas mit Viola an seiner linken Seite und seinem engsten Freund Ivon an seiner rechten Seite Platz nahm. Gegenüber von ihnen saßen andere Frauen und Männer aus Marseille. Neben Viola saß Laurine. Violas Gedanken schweiften ab. Sie schaute zur abschüssigen Rampe Canterellettes hinüber, an deren erster Serpentine das Haus steht, in dem sie 2008 ihre erste Unterkunft in Béziers gemietet hatte, ein Studio im dritten Stock. Wie lange das schon her war. Wie viele Leben hatte sie seit dem gelebt, von denen keines ihr eigenes zu sein schien und doch gehörten sie zu ihr. Um sie herum wurden lebhafte Gespräche geführt. Es wurde laut und herzlich gelacht. Immer wieder blickte Thomas sie liebevoll besorgt an. Seine Zuneigung gab ihr Kraft und verwirrte sie.

- Ich geh durch die Stadt schlendern, sagte sie beiläufig und erhob sich.

- Halt, ich begleite Dich. Thomas hielt sie erschrocken und beunruhigt am Handgelenk fest, während er sich ebenfalls erhob.

Auch Laurine beobachtete sie aufmerksam. Die Anteilnahme der beiden, wenn auch süß, ließ sie erschaudern. Sie entzog ihre Hand der seinen. Schweigend gingen sie nebeneinander die Passage de Canterellettes hinunter. Die ihr namentlich unbekannten Pflanzen dufteten stark.

- Viola, Patrick und seine Anhänger suchen Dich. Es war ein glücklicher Zufall, dass wir Dich zuerst fanden und nicht sie. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass ich Dich suchte. Patrick vermutete, dass Du heimlich für uns gearbeitet hast. Er konnte sich nicht vorstellen, dass mich persönliche Motive zu Dir trieben. Kein Geschmack der Mann, sein Pech, Dein, mein, unser Glück. Thomas boxte sie leicht in die Seite. Er ist schnell zu Späßen aufgelegt. Einer Eurer Männer hat Dich verraten, von den eingenähten Nachrichten in den von Dir gefertigten Kleidern erzählt, die die Zugänge und Pläne von Béziers enthielten, eine entscheidende Hilfe für unseren Sieg. Ich habe nichts davon gewusst. Unsere Leute wollten die Erkundungs-Lorbeeren wohl für sich. Patrick hat mir diesen Brief übergeben lassen. Wortlos reichte er Viola den dreckigen Zettel.

Wenn wir die Näherinn-Hure, diese Verräterin erwischen, knöpfe ich sie mir persönlich vor. Oder sollte ich lieber aufknöpfen sagen. Sie wird leben, aber Du wirst sie nicht mehr wieder erkennen. Das verspreche ich Dir, gezeichnet Patrick, Herr von Béziers, las Viola.

- Lola, meine Liebe zu Dir hat Dich in Gefahr gebracht anstatt Dich zu beschützen. Du wirst jetzt gesucht, auf Deinen Kopf ist ein Preis ausgesetzt, Du bist jetzt in vielen Landesteilen Freiwild. Ich werde Dir eine Wache zur Seite stellen, ich werde...

- Kein Licht ohne Schatten. Je heller das Licht, desto dunkler der Schatten. Lass uns die Zeit genießen, unterbrach in Viola nachdenklich.

    Obwohl ihr die Lust auf durch die Stadt schlendern vergangen war, wollte sie noch die Treppe zur Impasse de Chien hinaufsteigen, vorbei am Brunnen, in den nach der Legende vielleicht der Kopf des Saint Aphrodise geworfen wurde, hinein in einer der dunkelsten und engsten Gassen des alten Béziers. Die Nacht war immer noch sehr mild, die Festlichkeiten überall noch im vollen Gange, Viola war müde während Lola noch tanzte.

- Willst Du noch draußen bleiben?, wisperte Thomas ihr ins Ohr.

- Nein, wo schlafen wir, äh, ich?, Viola biss sich auf die Lippen.

- Laurine hat zwei getrennte, durch eine Tür miteinander verbundene Zimmer für uns hergerichtet. Ich bin sehr nervös.

Wow, die beiden Zimmer waren von einer Viola seit Jahren unbekannten Gemütlickeit. Wo hatte Laurine nur die ganzen Kissen aufgetrieben? Viola ging direkt ins anliegende Bad und putzte sich die Zähne, Thomas folgte ihr.

- Tja, ich weiß nicht, wo soll ich mich hinlegen?

- Da wo ich liege, erwiderte Viola.

    Ausgelassen wirbelte Thomas Viola herum, bis er sie überraschend schnell hoch hob und zu einem der Betten trug. Viola hatte das Braut-über-die-Schelle-Tragen immer kitschig gefunden, doch nun machte es einen Sinn für sie. Stunden der Zärtlichkeit und Leidenschaft folgten. Ihre Körper schmiegten sich aneinander und inneinander, bis sie in einen der Ohnmacht nahe kommenden Schlaf fielen. Abwechselnd wachten sie auf, sie betrachtete ihn und er betrachtete sie im Schlaf, berührten sanft der oder des anderen Gesicht.

- Du liebst nicht mich sondern die Vorstellung, die Du Dir von mir gemacht hast.

- Und wenn schon. Die Vorstellung, die ich mir von Dir machte, war für mich notwendig, war mein Lebenselixier. Die Vision von Dir hat meine Hoffnung und Kraft gesteigert. Pascal hat mir viel von Dir erzählt. Wie Du Dich verhalten hast, was Du wie gemacht hast. Welche Schwierigkeiten, welche Freuden ihr hattet. Ich habe ihn regelrecht ausgehorcht. Mein Bild von Dir bist vielleicht nicht Du, aber das ist für mich unbedeutend. Ich will Dich kennenlernen, entdecken wer Du bist und wie Du bist. Mein Bild von Dir lege ich beiseite. Es ist überflüssig geworden. Ich erinnere mich gerne daran, aber jetzt bist Du real geworden. Ich ziehe die Wirklichkeit der Illusion vor.

Viola öffnete verwirrt die Augen. Thomas saß schon angezogen am Bettrand.

- Bei unserer ersten Begegnung wollte ich nüchtern bleiben. Heute werde ich mich betrinken. Erwarte heute Nacht also keine hohe Liebeskunst von mir, doch jetzt stehe ich zur Verfügung.

Viola streckte ihrer Hand nach ihm aus. Doch sie sah blass und erschöpft aus.

- Ich hole uns was zum Frühstücken, bin gleich wieder da.

Als Thomas mit dem beladenem Tablett wieder kam, saß Viola bereits angezogen am Tisch. Sie wirkte munter und weniger zerbrechlich als im Bett. Beide ließen es sich schmecken und alberten leicht herum.

- Übermorgen brechen wir nach Marseille auf. Ich hoffe, dass du mit uns kommst. Ich weiß noch nicht, ob wir den Land- oder Seeweg nehmen. Ich muss darauf gefasst sein, dass wir unterwegs angegriffen werden. Erstaunlich viele Menschen sind Patrick gefolgt und haben Béziers verlassen. Sie wollten die Wahlen nicht abwarten, die sobald als möglich stattfinden werden. Sprich zu niemanden über unsere Abreise.

- Klar komme ich mit Euch. Ich will Dir nah bleiben und Pascal näher kommen. Heute werde ich mich hier umsehen und mit meinen Bekannten sprechen. Fang nicht zu früh mit dem Trinken an. Ich könnte Schwierigkeiten mit der Nivauanpassung bekommen, bis später.

Abrupt stand Viola auf und küsste Thomas auf die Stirn. Doch er zog sie rasch auf seinen Schoß und küsste sie leidenschaftlich.

- So, jetzt kannst Du gehen. Bis später.

Immer wieder riss er sie an sich. Sie wusste nicht, wie das finden sollte.

    Am späten Nachmittag ging Viola zu Marinas Räumen. Marina saß an ihrem Schminktisch. Viola setzte sich in den bequemen Sessel, der schräg versetzt hinter Marinas Sessel stand, wie in früherer Zeit. Marina schminkte und frisierte sich und sprach wie gewohnt durch den Spiegel mit der Frau hinter ihr. Doch heute drehte sie sich um. Sie war von umwerfender Schönheit.

- Thomas ist der schillerndste Mann, der einfühlsamste und aufregendste Liebhaber, der mir bisher begegnet ist. Du hast Glück, dass ein solcher Mann Dich begehrt. Ich gönne Dir, Euch, dieses Glück nur schweren Herzens und auch nicht neidlos. Möge es nicht zu lange dauern. Ich wäre gerne an Deiner Stelle. Doch ich muss zugeben, Du verdienst ihn.  Nach unseren gemeinsamen Liebesstunden, die mir ebensolche Lust bereiteten wie ihm, sprach Thomas im Schlaf: Lola, gefalle ich Dir?

Da wusste ich, wie es um ihn steht, dass er zumindest meint, Dich zu lieben und dass ich verloren bin. Ja, ich habe Dich verraten. Ich bin bestraft worden. Doch Du kennst mich. Ich brauche keine tröstenden Worte. Ich bin zum Sex gezwungen worden ohne Gewaltanwendung, wie eine Prostituierte, die ich schon lange bin. Diese Nacht mit Thomas und den anderen dreien hat mich verändert, aber ich bin immer noch die alte Überhebliche. Du warst meine Dienerin und meine Freundin. Jetzt bist Du meine Freundin und meine Feindin. Ich werde Patrick folgen. Wir sind in Kontakt. Ich bin sein weibliches Pendant. Wir bilden eine Einheit, anders als Thomas und Du, aber wir werden zusammen bleiben. Patrick braucht mich, so wie Thomas Dich braucht, so verschieden die beiden Männer auch sind, sie ziehen uns mit. Wir gestalten mit, doch die Impulse kommen von ihnen.

- Warum bleibst Du nicht in Béziers?

- Ich bin keine Demokratin. Ich bin schön, stark und anpassungsfähig. Ich will und brauche nicht die gleichen Rechte wie ein Mann. Ich interessiere mich nicht für Mathematik, ich will keine Berechnungen anstellen, ich will keine Maschinen und Waffen bedienen. Ich will die Technik nicht verstehen, ich will sie nur benützen. Ich interessiere mich für Mode und Philosophie. Ich will mich schmücken, mich schminken, von Männern begehrt werden. Wer sich durchsetzt, soll an die Spitze. Wahlen sind überflüssig. Ich bin schöner und härter als die meisten Frauen, deswegen gehöre ich an die Spitze.

- Was machst Du, wenn Dein Aussehen nicht mehr den Schönheitsidealen der Männer entspricht?

- Dann leite ich einen Haushalt. Dann bin ich angesehen und geachtet, weil ich den Männern ein gemütliches Heim bereite und dampfende Köstlichkeiten auftischen lasse. Dann habe ich eine Tochter, die mir die Jugend und Schönheit wiedergibt, in der ich mich spiegele und weide wie ein Mann. Eine Tochter, die ich schmücke, der ich alles beibringe, was mir hilfreich scheint, um in dieser gewalttätigen Welt an der Spitze zu überleben. Sollte meine Tochter häßlich sein, was zwar unwahrscheinlich aber möglich ist, werde ich ihren Willen und Charakter noch stärker formen. Denn Schönheit ist für mich vor allem eine Sache des Charakters, des Charmes und der inneren Einstellung zu sich selbst, wie wir ja bei Dir liebe Viola bestens beobachten können. Wer sich schön findet, wird schön. Sollte ich keine Tochter haben, habe ich eine Nichte. Habe ich keine Nichte, suche ich mir in unserem Stadtstaat das schönste und stärkste Mädchen, um es zu erziehen. Wie Du siehst, brauche ich keine besondere Angst vor dem Alter zu haben, nur die uns allen eigene mehr oder weniger große Angst vor Krankeit und Tod.

- Meinst Du nicht Mädchen und Jungen, Frauen und Männer, sollten ihre Betätigungsfelder entsprechend ihrer Neigungungen entdecken nicht entsprechend ihres Geschlechtes? Warum Betätigungsfelder nach Geschlecht festlegen? Damals in Frankreich konntest Du Dich noch entscheiden, wenngleich der Zugang zu Wissenschaft und Forschung für Mädchen schwerer war als für Jungen. Du bist unter demokratischen Verhältnissen aufgewachsen. Was, wenn Deine Tochter sich anstatt Deines Schönheitskrams für Mathematikkram interessiert?

- Wenn die junge Menschin unter meiner Fittiche ein Mannweib werden will, dann soll sie sich durchsetzen. Ich werde sie nicht behindern, aber ich werde ihr auch nicht behilflich sein auf diesem Weg. Soll sie beweisen, dass es ihr Weg ist. Meine Liebe und Zuneigung sind ihr gewiss sowie meine Unterstützung von dem Zeitpunkt an, da mich ihre Willenskraft überzeugt.

- Willst Du nicht doch lieber hier bleiben?

- Nein, ich bleibe auf keinen Fall. Zum einen weil ich mich, soweit mir das möglich ist, in Thomas verliebt habe. Ich bin nicht so eine große Leidende wie Du. Ich will Spaß und keinen Kummer. Ich ertrage es nicht, ihn an der Seite einer anderen Frau zu sehen. Ich gehöre dahin als erste seiner Frauen. Neben mir mag er andere haben, doch ich muss die erste sein. Ich komme nur zurück, wenn er mich ruft. Zum anderen will ich nur einen Mann der Führungselite. Ich will oben bleiben. In Eurer Demokratie ist kein angemessener Platz für mich. Heute Nacht breche ich auf. Thomas und die Seinen, zu denen Du ja wohl auch gehörst, wollen übermorgen aufbrechen. Er fürchtet zu Recht einen Angriff von Patricks Männern.

- Woher weißt Du von dem geplanten Aufbruch?, fragte Viola verblüfft.

- Ich habe von Dir gelernt. Spione und Spitzel sind jetzt überall. Daran musst Du Dich gewöhnen. Selbst Laurine, Deine große Verehrerin, ist auf abtrünnigen Wegen. Laurine ist eine auf seltsame Art anziehende Frau. Selbst Patrick ist ihre hintergründige Erotik aufgefallen, obwohl er doch auf so pralle Weiblichkeiten wie mich steht, während ihm Deine subtile Lasterhaftigkeit entgangen ist. Ich habe meinen Bruder Manfred auf Laurine angesetzt. Beide haben Gefallen aneinander gefunden, heimiche Treffen inbegriffen. Keine Angst, noch hat keiner von Euren Leuten Euch verraten, auch Laurine nicht. Andere hörten, was nicht für ihre Ohren bestimmt war. Thomas scheint den Seeweg zu bevorzugen. Unterstütz ihn dabei. Ich werde dafür sorgen, dass Patrick den Landweg wählt. Frauen machen auf ihre Art Politik, nehmen Einfluss, selbst ohne Wahlrecht.

- Wieso sollte ich Dir trauen?

- Weil Dir nichts anderes übrig bleibt. Ich bin weder zu Liebe noch zu Freundschaft fähig. Für mich zählt nur die Familie. Blut ist dicker als Wasser. Nur auf Deine Familie kannst Du Dich verlassen. Ich gehöre zu den Menschen, die zu jedem Verbrechen im Namen der Familie fähig sind. Und bald gehöre ich im Gegensatz zu Dir zu den Eltern, die jedes Verbrechen begehen, um die eigene Brut zu schützen. Warum ist Pascal unter Deiner Obhut zu einem solch schwächlichem Jüngelchen geworden? Weil Du ihm nicht beigebracht hast, das zu nehmen, was er braucht. Weil Du ihn gelehrt hast, sich zurückzunehmen, anstatt sich durchzusetzen. Pascal kann sich glücklich schätzen, dass Thomas' Familie ihn aufgenommen hat, damit er endlich mal gelernt hat, aus dem Vollen zu schöpfen. Und Du kannst Dich auch glücklich schätzen, denn so hat Thomas von Dir erfahren, der eigenartigen Näherin. Weißt Du übrigens, dass Thomas Mutter gestorben ist, als er fünf Jahre alt war. Vielleicht erklärt dass seine seltsame Zuneigung für ältliche, aparte Frauen.

Thomas gehört jetzt zu meiner Familie. Ich habe ihn mir ausgesucht. Daher gehört auch seine Halbschwester Laurine zu meiner Familie. Du bist nur meine Freundin, aber meine einzige und liebste Freundin. Ich habe Dich ausgesprochen gern, zu gern für meinen Geschmack. Ich werde Dich schützen wie das letzte, unwichtigste Familienglied, Thomas und mir zu Liebe. Ich will mit ansehen, wie sich sein Bild von Dir unter Eurem rauhen Alltag abnutzt und das Bild von Dir zerbröckelt, bis selbst die Erinnerung daran verblasst. Bis Du zu dem faden, alten Ding wirst, dass Du auch bist. Drei Jahre träumt er nun schon von Dir oder von der, für die er Dich in seiner Phantasie hält. Dein zu früher Tod würde diesen Phantast nur noch zu weiteren, absurderen Idealisierungen antreiben. Ich habe keine Lust, die nächsten Jahre gegen ein Phantom zu kämpfen, denn keine Realität kann mit dem Traum mithalten. Ich werde ihm einige Zeit mit Dir gönnen, aber meine Geduld ist begrenzt. Ich bin 27 Jahre alt und noch lange jung, im Gegensatz zu Dir. Du scheinst nur noch jung. Bald bist Du verbraucht. Dann bin ich dran. Doch jetzt ist erst mal unser Abendessen dran. Was meinst Du, sollen wir mit Laurine speisen? ... ... ...

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